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Teil 2: Im Gespräch mit Ralf Rangnick

Kaum ein anderer weiß mehr über Talente

Von Luca Wodtke

Ralf Rangnick hat trotz seiner großen Erfolge nie seine Wurzeln vergessen. Der „Professor“, wie ihn viele nennen, wurde in der Süddeutschen Kleinstadt Backnang geboren. Ein Mann, der einen Verein aus den unteren Ligen des deutschen Fußballs in kürzester Zeit in die UEFA Champions League geführt hat, weiß, wie man mit Talenten umgeht. Rangnick ist einer der größten Sportvisionäre unserer Zeit.

 

Wir sprachen über…
... wie das Zusammenspiel zwischen Verein und Eltern funktioniert

“Da kommen wir wieder zurück zum Ausbildungsberuf. Das ist aber in anderen Sportarten und Berufszweigen nicht viel anders: Wenn ein Kind großes Talent hat, dann muss es auch schon mit fünf angefangen haben und mit acht oder neun Jahren zig Stunden am Tag dementsprechend üben und dann bei den bestmöglichen Lehrern lernen. Das ist bei Fußballern im Prinzip ja nicht anders. Vor 2000 war es so, dass Fußball auf der Straße “erlernt” wurde. Aber heute gibt es den Straßenfußball kaum noch, und er wird aufgrund der gesellschaftlichen und sportlichen Entwicklung auch nicht wiederkommen. An dieser Stelle ist nun der Profiverein gerückt, der seine Spieler ausbildet und weiterbildet.

Zurück zu den Eltern: Wenn ein Junge Fußballprofi werden will und Talent hat, dann wird er in der Regel mit zwölf damit konfrontiert, dass er ein Angebot kriegt, von einem Profiklub. Da kommt es dann immer darauf an, wo das Talent mit seiner Familie wohnt. Wenn das Angebot vom FC Bayern München dann zum Beispiel an eine Familie in Kiel geht, muss die gesamte Familie gemeinsam entscheiden, wie mit dem Angebot umgegangen wird. Soll der Junge mit 13-14 Jahren alleine 600 KM weit wegziehen oder zieht die ganze Familie um? Wird das Angebot überhaupt angenommen? Natürlich muss es der Junge selber wollen, aber die Eltern gehen ja dann später den Weg mit. Insofern ist es automatisch so das es ein gutes und enges Verhältnis zwischen der sportlichen Leitung des Klubs, den Akademien und den Eltern geben muss.”

... was passiert wenn Eltern gegen des Willen des Kindes entscheiden
“Wenn Eltern gegen den Willen des eigenen Kindes gehen und sie in einen anderen Teil Deutschlands schicken, dann muss man sich schon fragen, ob sie ihrer Rolle als “gute Eltern” gerecht werden. Ich könnte mir persönlich niemals vorstellen, so etwas zu machen.

Der abgehende Verein kann in so einem Fall nur auf die Eltern einwirken. Wenn der Spieler in dem Alter schon einen Berater hat, dann muss der Verein auch auf den Berater einwirken, damit so etwas nicht passiert. Ich rate den Eltern und Beratern, mit denen ich zu tun habe, dass ein Kind der Nähe des Wohnortes gut aufgehoben ist und bleiben sollte, so lange es dort spielen darf. So hat es mindestens noch die Chance Schule, Erziehung, soziale Kontakte und Elternhaus unter einen Hut zu bringen, was für die Talente ja eh schon schwer genug ist.

Wenn der abwerbende Verein jedoch spürt, dass sich das Talent in seiner Heimatstadt nicht richtig entwickeln kann, dann kann es eventuell Sinn machen, das Kind gehen zu lassen. So war es damals bei Joshua Kimmich. Der einzige Grund, wieso wir ihn nach Leipzig holen konnten war, weil der VfB Stuttgart ihm diesen Kaderplatz in der U23-Mannschaft nicht gegeben hat. Im Nachhinein war das eine krasse Fehleinschätzung. Aber diese Entscheidung hat der Junge selbst getroffen, er wurde nicht von seinen Eltern weggeschickt.

Wenn es sich natürlich um ein finanzielles Interesse der Eltern handelt, dann kann es passieren, das Eltern ihr eigenes Kind ‘verkaufen’. Das kommt wegen dem steigenden Gehalt im Sport leider vor. Für viele ist das dicke Geld im Fußball sehr verlockend. Trotzdem kann ich nur jedem Talent raten, direkt von Anfang an zweigleisig zu fahren: Sport und Schule. Und das am besten so lange es geht. Früher war es so, dass die Spieler einen Beruf gelernt haben, und dann zwanzig Jahre Fußball gespielt haben. Und dann gab es diesen Beruf gar nicht mehr.

Ein normaler Alltag für Fußball-Talente ist nicht möglich. Ein Talent, egal welcher Art, muss nun mal gefördert werden und das geht nicht, wenn das Kind ganz normal in die Schule geht. Wenn du ein Talent richtig fordern willst, dann muss alles um dieses Talent herum geplant werden. Deshalb ist es ja so wichtig, dass in der Bundesliga die Fußball-Akademien so einen hohen Stellenwert haben. Fußball-Karrieren heute beginnen heute früher und enden auch früher. Mit 30 gehörst du eigentlich schon zum alten Eisen. Mit 30 einen neuen Beruf suchen? Mit einer ganz anderen Gehaltsklasse? Da muss man sich natürlich erstmal wieder umgewöhnen.

Natürlich ist es für eine Familie nicht einfach, alles um ein Kind herum zu bauen, vor allem da nur sehr wenige Talente wirklich den Sprung in den Profibereich schaffen. Deshalb ist es wichtig, dass die Talente an den Akademien einen schulischen Abschluss erlangen, falls sie später auf einen normalen Beruf umsatteln müssen. Bevor man irgendwo in der 4. Liga ein bisschen rumkickt, sollte man doch lieber einen echten Beruf bevorzugen.

Top-Talente werden Profis werden, ihr Weg ist unaufhaltbar. Aber er kann durch den Einfluss von Autoritätspersonen wie Eltern verzögert oder beschleunigt werden.”

... wie man mit einem Talent umgeht der den Sprung nicht schafft
“Das ist überall unterschiedlich. Normalerweise gibt es dafür den sportlichen Leiter in einer Akademie, und auch Trainer. Als junges Talent gibt es zwei Arten der Versetzung jedes Jahr: die schulische Versetzung in die nächste Klasse und die sportliche Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe. Die Spieler sind somit zweimal im Jahr einer Bewertung ausgesetzt. Hier können wir wieder auf Kimmich zurückkommen: ihm wurde mit 18 der Wunsch auf Versetzung in die U23 verneint. Aber da er so ein unfassbar zielgerichteter Mensch ist, hat ihn das nicht aufgehalten. Deshalb wird er auch eines Tages Kapitän des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft, weil er dieses Talent der Persönlichkeit einfach hat. Diese Spieler schaffen in der Regel auch einen guten Schulabschluss, trotz ihrer immensen Fehlzeiten in der Schule. Mit 30 Prozent Fehlzeit in der Schule machen sie immer noch ein besseres Abitur als andere, die nicht Profifußballer sind. Weil sie diesen starken Willen haben.

Am Ende entschieden die Verantwortlichen eines Klubs, wie sie mit einem Spieler, der den Sprung nicht geschafft hat umgehen. Dann kommen die Berater und die Eltern wieder ins Spiel, am besten sie sitzen im selben Boot. Sie haben im Idealfall schon für den Worst Case, Intermediate Case und für den Best Case geplant. Und das gilt sowohl für ein frühes aus der Profikarriere durch mangel an Talent als auch durch eine Verletzung.

Einen Karriereplaner und Wegbegleiter bräuchte es bei jeden Klub, der sich hauptamtlich um den Weg der Talente kümmert. Leider gibt es nur wenige Vereine, die so eine Person schon in ihrem Verein. Die Vereine in England sind uns da um einiges voraus. Aber am Ende obliegt es der Verantwortung der Vereinsführung, ihre Jugendspieler derart zu unterstützen. Die zwei Prozent, die den Sprung in den Profibereich schaffen, müssen sich damit nicht auseinandersetzen. Aber die große Mehrheit, die 98 Prozent, die brauchen diese Unterstützung. Natürlich müssen sich auch Eltern und Berater sich ihrer großen Verantwortung bewusst sein. Aber hier sind besonders die Vereine gefordert.

Die Talent-Akquise beginnt heute schon sehr früh, die Spieler kommen früh genug in die Bundesliga. Wenn ein 10-jähriges Kind die Chance hat, in seinem Verein gefördert zu werden und der Trainer einen guten Job macht, sollte es erstmal im Heimverein bleiben. “

„Teil 1: Im Gespräch mit Ralf Rangnick“ finden sie hier auf unserem Blog!

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