Sind Fußballer genialere Denker als Hegel und Sartre – oder nur hungrig auf ein gutes Omelett? Trainer wie Jose Mourinho legen die Latte des hohen Anspruchs immer höher.
Albert Einstein, der berühmte Schwabe, war das, was die Engländer „The brightest Bulb in the Chandelier“ nennen, also die hellste Kerze im Kronleuchter. Der Sage nach begab sich der gescheiteteste Mensch der Welt eines Tages auf die Suche nach einem Assistenten und lud drei Bewerber zum Gespräch.
„Wie hoch ist Ihr IQ?“, fragte er den Ersten. „175“, verriet ihm der Kandidat. „Prächtig“, staunte Einstein, „dann könnten wir ja zusammen philosophieren.“
„Und wie ist Ihr IQ?“, prüfte er den Nächsten. „120“, antwortete der, und der Meister war abermals tief beeindruckt: „Dann könnten wir zusammen ins Theater gehen.“
„Haben auch Sie einen IQ?“, wandte er sich schließlich dem Dritten und Letzten zu. „75“, sagte der, worauf Einstein ihm antwortete: „Machts nichts, dann könnten wir ja zusammen Fußball schauen.“
Selbst wenn die Geschichte nicht ganz wahr sein sollte, ist sie zumindest sehr gut erfunden. Jedenfalls entstand irgendwann der grässliche Verdacht, dass die Fußballer das Denken besser den Philosophen überlassen sollten. Und tatsächlich sprach eine Zeitlang vieles dafür, weil beispielsweise Jean-Paul Sartre so beeindruckende Dinge sagte wie: „Beim Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit des Gegners“. Die Anwesenheit der Philosophen erwies sich dann aber bald als das weit größere Problem, und zwar spätestens, als sich Sartre im Labyrinth seiner Geistesblitze auch noch in die Erkenntnis verdribbelte: „Ein guter Torwart zeichnet sich in erster Linie durch Überschreitung seiner Machtbefugnisse aus.“ Was er uns damit sagen wollte?
Keiner weiß es.
Deshalb philosophieren die Fußballer inzwischen lieber selbst. Spontan denkt man da vor allem an Bundestrainer Jogi Löw, der als höchste Instanz im Land einmal das Machtwort in eine Kamera sprach: „Die Philosophie des offensiven Spiels, also Tore zu erzielen, nach vorne zu spielen, bleibt unverändert.“ Der „Spiegel“ war in seiner Online-Edition vor Begeisterung sprachlos und schwärmte: „Der erste Bundestrainer-Philosoph.“
Aber auch andere denken nicht mehr daran, sich zu verstecken. Als neulich kurz Lionel Messi als Personalie auf dem Transfermarkt erschien, rechtfertigte Vorstandsboss Kalle Rummenigge das Desinteresse des FC Bayern am Argentinier so: „Ein Spieler dieser Größenordnung ist nicht Teil unserer Philosophie.“ Der praktische Philosoph, der die Weisheit an einem Beispiel lehrt, ist der wahre Philosoph.
Auch Jose Mourinho, der momentan die Tottenham Hotspurs trainiert, gehört dazu. Als ihn einmal ein Journalist fragte, ob er sich trotz seiner wachsenden Titellosigkeit immer noch für den größten Trainer der Welt halte, schlug der Portugiese zurück: „Hatten Sie einmal Zeit, Philosophen zu lesen, zum Beispiel Hegel?” Als der Reporter verneinte, konfrontierte ihn Mourinho mit seinem stolzen Lebenswerk als Trainer und rief dazu den hinter Einstein zweitgrößten schwäbischen Denker als Zeugen auf: „Hegel sagt: Das Wahre ist das Ganze.“
Philosophie ist die Suche nach Antworten auf alle grundlegenden Fragen der Welt und des Fußballs. Also doziert heutzutage jeder anspruchsvolle Trainer mindestens mit dem Satz: „Wir müssen überall auf dem Platz Überzahlschaffen, das ist meine Philosophie.“ Ohne solche Philosophien wird ein Spiel gar nicht mehr angepfiffen, und alle Welt hängt an den Lippen der dazugehörigen Koryphäen. Sogar Torjäger ohne Schulabschluss legen im intellektuellem Vorwärtsdrang mitunter ihre zerfurchte Denkerstirn in Falten und schleudern die schwerwiegende Erkenntnis in die Mikrofone: „Wir haben die Philosophie des Trainers perfekt umgesetzt.“
Unvermeidlich ist die Fußballphilosophie so irgendwann aufgestiegen zum i-Tüpfelchen aller Philosophien, in ihrem Schatten konnten die Naturphilosophie, die Geschichtsphilosophie, die Sprachphilosophie und die Kulturphilosophie kleinlaut einpacken. Auch in der Trainerausbildung werden aus gutem Grund nicht die alten Säcke Konfuzius, Nietzsche oder Kant, sondern die modernen Philosophen gelehrt, von Sepp Herberger („Das nächste Spiel ist immer das Schwerste“) über Franz Beckenbauer („Schaun mehr mal“) bis hin zur tiefschürfendsten aller Philosophien: „Ein rollender Ball setzt kein Moos an“ (TV-Moderator Reinhold Beckmann). Dieses stetige Streben des menschlichen Geistes, die Zusammenhänge des Seins zu erkennen, hat den großen Italiener Giovanni Trapattoni irgendwann vollends zum Aussprechen der ultimativen Wahrheit veranlasst:
Fußball ist ding, dang, dong.
Endlich sagte es mal einer.
Aber das war dann wohl doch des Guten zu viel. Es ist nicht gut, wenn die Luft im Ball zu sprechen anfängt, sagen kopfschüttelnd die herkömmlichen Philosophen und ledern gegen die kickenden Vordenker jetzt langsam, aber sicher wieder zurück. Die Philosophie-Zeitschrift „Hohe Luft“ hat, womit wir nochmal kurz auf Jogi Löw kommen, in Richtung Bundestrainer die aufmüpfige Frage gestellt: „Wie kann man sich nur vor Fernsehkameras an den Eiern kraulen und dann auch noch an der eigenen Hand schnüffeln?”
Die Überschrift des nachdenklichen Pamphlets hieß: „Die Philosophie des Eierkraulens.“
Aber vor allem Jose Mourinho bekommt sein Fett weg, seit er küchenphilosophisch beschrieben hat, dass das Entwickeln eines Fußballtalents vergleichbar ist mit dem Zubereiten eines guten Omeletts. „Alles hängt von der Qualität der Eier im Supermarkt ab“, sagte Mourinho, „ohne erstklassige Eier hast du ein Problem.“ Worauf eine kritische Lästergosche prompt öffentlich fragte: „Ist Jose ein philosophisches Genie – oder nur hungrig auf ein Omelett?“
Die Philosophen haben das Gesabber jedenfalls satt. Sie erinnern die Fußballer jetzt wieder an den bewährten Wandspruch: Der Mensch sollte das Denken den Pferden überlassen, sie haben den größeren Kopf.